08
Juli
2022
|
10:05
Europe/Amsterdam

Tag des Märchens: Interview mit Dr. Moniek Hover

Wie Märchen für Efteling bereits 1952 den Unterschied machten

Die magische Zahl 7 kommt häufig in Märchen vor: So kennt jeder die sieben Geißlein, die den Wolf überlisten, und die sieben Zwerge, die Schneewittchen bei sich aufnehmen. Oder die Siebenmeilenstiefel, mit denen der kleine Däumling und seine Brüder – insgesamt sieben Jungen – dem Riesen entkommen. Auch für Efteling spielt diese Zahl eine besondere Rolle: Seit 70 Jahren ist der Freizeitpark Hüter des Märchens. Heute, am 7.7., ist Tag des Märchens – und das im 70. Geburtstagsjahr von Efteling. Zu diesem Anlass blickt Dr. Moniek Hover, Dozentin für Storytelling an der Fachhochschule Breda (ehemals NHTV), auf die Anfänge von Efteling zurück. Der Park, der vor siebzig Jahren als Märchenwald mit zehn Märchen begann. Warum entschied man sich für einen Märchenwald? Welche Entscheidungen mussten getroffen werden und vor allem: Was hat der Märchenwald 1952 mit den Menschen gemacht?

Warum entschied man sich für einen Märchenwald?

Aus der Geschichte geht hervor, dass Betty Perquin, die Frau des Bürgermeisters Van der Heijden der Gemeinde Loon op Zand, ihrem Mann 1951 vorschlug, einen Märchengarten mit echten Märchen anzulegen. Das würde dem Tourismus in seiner Gemeinde in dieser Zeit einen guten Schub verleihen. Hover: „Man muss diese Entscheidung vor dem Hintergrund der frühen 1950er Jahre sehen. Jahrzehntelang arbeiteten die Menschen in Loon op Zand und Umgebung hart in der Leder- und Schuhindustrie. Nach dem Krieg wurde schnell viel gebaut und es entstanden immer mehr Fabriken. Die Industrialisierung gewann stets mehr an Bedeutung. Die Menschen hatten endlich mal wieder so etwas wie Freizeit. Dennoch gab es eine 6-Tage-Woche und die Menschen hatten weniger als zwei Wochen Urlaub pro Jahr. Wenige fuhren wirklich in den Urlaub, aber die Menschen freuten sich auf den jährlichen Jahrmarkt. Sie zogen auch gerne aufs Land, um dem städtischen Umfeld und der harten Arbeit zu entfliehen. Märchen wurden traditionell erfunden oder erzählt, um das Leben mit ‚Unterhaltung‘ zu erhellen, aber auch um Kindern etwas beizubringen oder sie zu warnen (sogenannte ‚Schreckenmärchen‘).“

In den frühen 1950er Jahren sah der Bürgermeister Möglichkeiten für Erholung und Tourismus als Wirtschaftszweig und wollte diesen mit ‚verantwortungsvoller‘ Unterhaltung entwickeln. Auf Anregung seiner Frau zog der Bürgermeister seinen Schwager, den Filmemacher Peter Reijnders, hinzu. Er überredete den romantischen Illustrator Anton Pieck, den Märchenwald zu entwerfen. Auf der Grundlage seiner zahlreichen Skizzen und Zeichnungen nahm der Märchenwald Gestalt an. Peter Reijnders erweckte die Märchen mit Hilfe der Technik zum Leben. So wurden Bürgermeister Van der Heijden, Peter Reijnders und Anton Pieck zu den Gründern von Efteling.

Was bedeutete die Errichtung des Märchenwaldes für die Besucher von damals?

Hover: „In den 1950er Jahren gab es kein Fernsehen und nur wenig Radio. Aufgrund ihrer erzieherischen Botschaft und der zugrunde liegenden Moral wurden Märchen von der Öffentlichkeit auch als ‚verantwortungsvolle‘ Unterhaltung angenommen. Traditionell wurden sie oft mündlich erzählt oder vorgelesen. Ein Buch wurde höchstens einmal im Jahr zu einem besonderen Anlass verschenkt. Märchen boten einen Gegenpol zu einer hektischen Gesellschaft. Sie fanden oft in der Natur statt, waren manchmal romantisch und regten die Fantasie an. Schon damals hatten Märchen Wiedererkennungswert und weckten Erinnerungen an die Kindheit und die damit verbundenen nostalgischen Gefühle. Im Märchenwald wurde durch Farbe, Klang und Bewegung das Wunder der Märchen aus der eigenen Kindheit zur Realität. Im Jahr 1952 kostete ein Besuch in der ‚glücklichen Welt‘, wie Efteling genannt wurde, 0,80 Gulden (0,36 €). Die Menschen gingen dorthin, um sich in einer natürlichen Umgebung zu entspannen und sich von den Märchen verzaubern zu lassen. Sie konnten auch spazieren gehen oder sich auf dem großen Spielplatz vergnügen, aber die Märchen machten den Unterschied.

Am 31. Mai wurde der Märchenwald mit zehn Märchen eröffnet: Dornröschen, Schneewittchen und die sieben Zwerge, Der Froschkönig, Die magische Uhr, Die chinesische Nachtigall, Der sprechende Papagei, Langhals (Die sechs Diener), Das Zwergendorf, Frau Holle und Bertram Botschafter.

Hover fährt fort: „Die märchenhaften Elemente wie die musikalischen Pilze, die Zwergenhäuser und der sprechende Papagei sorgten für Aufsehen. Ganz zu schweigen von dem wachsenden Hals von Langhals und den Grimmschen Märchen, die dort zu hören waren.“

Die Gründer hatten nicht damit gerechnet, dass der Märchenwald bald berühmt werden würde. Die Medien berichteten ausgiebig über die Wunder in Kaatsheuvel: „Es war einmal... nein, lebendiger, sollte es eigentlich heißen: Jetzt gibt es den Naturpark ‚De Efteling‘ … denn in Efteling ist das Märchen keine Vergangenheit, sondern Realität in der Gegenwart.“ Die anwesenden Journalisten waren die ersten, die den Märchenwald erlebten, in dem Märchen mit beweglichen (!) Figuren dargestellt wurden. Das war die Geburtsstunde des Staunens, das für immer mit Efteling verbunden bleiben wird.

Welche Entscheidungen mussten getroffen werden?

Bei ihren Recherchen in den Efteling-Archiven fand Moniek Hover heraus, dass die ersten zehn Märchen des Märchenwaldes, die entwickelt wurden, das Publikum vor allem zum Staunen bringen sollten. „Deshalb wurden einige bekannte Märchen ausgewählt, aber auch einige selbst geschriebene Märchen. Wie die Märchen aussehen sollten, wurde von Anton Pieck und Peter Reijnders festgelegt. Pieck stützte sich bei seinen Zeichnungen häufig auf Illustrationen, die er für die Grimmschen Kinder- und Hausmärchen (1942) angefertigt hatte. Er schrieb vor, dass die Märchen so aussehen sollten, als ob sie schon hundert Jahre alt wären, und dass sie genau nach seinem Entwurf gebaut werden sollten, mit nachhaltigen Materialien: Steinmauern und Häuser mit echten Dachziegeln. Reijnders leistete mit Klang, Musik und Bewegung Pionierarbeit, um ein unvergessliches Erlebnis zu schaffen. Es wurde auch diskutiert, welche Version genau zu Efteling passt. Oft fiel die Wahl auf die Version der Gebrüder Grimm, die etwas weniger brutal war als einige frühere Versionen. Von Anfang an wurde die Wahrnehmung der Kinder berücksichtigt. Das Märchen Rotkäppchen durfte nicht zu gruselig sein, nicht in der Darstellung im Märchenwald und daher auch nicht in der gesprochenen Erzählung. So wurde die Verspeisung Rotkäppchens durch den Wolf nicht explizit erwähnt, sondern der Phantasie der Besucher überlassen: „Ihr wisst alle, was dann passiert...“.

Märchen auch nach 70 Jahren lebendig in Efteling

Im Märchenwald gibt es mittlerweile 30 Märchen zu entdecken. In siebzig Jahren hat sich der Park in Kaatsheuvel zu einem Freizeitpark entwickelt, der zur internationalen Spitze gehört. Und Efteling erzählt immer noch Geschichten. Zu den Märchen der Brüder Grimm, Hans Christian Andersens und Charles Perraults gesellten sich weitere Märchen. Geschichten, die zu großen Attraktionen wie den Achterbahnen De Vliegende Hollander, Joris en de Draak oder Baron 1898 gehören. Geschichten für Familienattraktionen wie Sirocco und Archipel, basierend auf den Seereisen von Sindbad dem Seefahrer aus den Märchen von 1001 Nacht. Moniek Hover: „Märchen sind und bleiben lebendig in Efteling. Nicht nur am Tag des Märchens.“

 

Dr. Moniek Hover ist Dozentin für Storytelling an der Fachhochschule Breda (Niederlande), wo sie unter anderem über Storytelling und Erlebnis im Kontext von Freizeit und Tourismus forscht. Sie promovierte 2013 an der Universität Tilburg über die Fallstudie „De Efteling als 'Verteller' van Sprookjes“ (Efteling als Märchenerzähler).